Fachartikel

Zentrales Teilhabemanagement beim Einrichtungsträger als Lösung zur Umsetzung der Personenzentrierung – eine Betrachtung

Welche Antwort können Einrichtungsträger auf das Gesamtplanverfahren in Händen der Kostenträger geben und wie wirkt sich die veränderte Ausgangslage auf die Organisationsstruktur aus?

Bedarfsfeststellung und Leistungsplanung durch Kostenträger im Rahmen der Gesamtplanung
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht – eigentlich schon seit 01.01.2018 – vor, dass sowohl Bedarfsermittlung sowie daraus abgeleitet Gesamtplanung (Anmerkung 1)  bzw. Teilhabeplanung (2) durch die Kostenträger erfolgen. Dabei sind Kriterien zur (Beurteilung der) Wirksamkeit der Leistungen Bestand-teil der Planung. 
Die Bundesarbeitsgemeinschaft überörtliche Träger der Sozialhilfe (BAGüS) hat dazu einen Verfahrensvorschlag vorgelegt (3). Dieser sieht keine Beteiligung der Einrichtungsträger an der Bedarfsermittlung und Erstellung der Gesamtplanung vor. Der betroffene Mensch ist nach dem Geist des BTHG selbstverständlich zu beteiligen, ganz im Sinne des voranzutreibenden Empowerments so-wie des Wunsch- und Wahlrechtes. Die Definitionshoheit zu notwendigen Eingliederungsleistungen liegt also künftig nach dem Willen des Gesetzgebers beim Kostenträger, der bei der Entscheidung über Ziele, Inhalte und Maßnahmen zur Zielerreichung den Menschen mit Behinderung (und / oder dessen gesetzliche Vertreterin) beteiligen muss.
Die Mitarbeiterinnen der Einrichtungen, die sich in der Vergangenheit üblicherweise als anwaltschaftliche Interessensvertreterinnen der Betroffenen sowie fachliche Instanz mit dem notwendigen Alltagswissen im Prozess verstanden haben, sind nicht zur Mitwirkung vorgesehen. Der Gesetzgeber verbindet damit auch ausgesprochenerweise die Erwartung, dass über den Gesamtplan eine Leistungssteuerung und Wirkungskontrolle etabliert wird (4).
Vorgesehen ist prinzipiell, dass im Rahmen der Bedarfsorientierung und Personenzentrierung alle Leistungen in einer Planung miteinander vereint werden, nicht – wie bisher häufig üblich – getrennt nach Leistungsbereichen (z.B. Wohnen und WfbM bzw. Tagesstruktur).

In der Praxis ist die Umsetzung noch nicht sehr weit fortgeschritten. Teilweise werden neue Instrumente auf Landesebene erprobt oder auch bereits schrittweise eingeführt. Eine flächendeckende Durchführung der Bedarfserhebung und darauf basierender Leistungsplanung durch die Kostenträger gibt es noch nicht. Dies resultiert auch vor allem daraus, dass in der Vergangenheit bei den meisten zuständigen Kostenträgern Verwaltungsfachkräfte über Leistungen in Art und Umfang entschieden haben, und zwar auf Basis der seitens der Einrichtungen vorgelegten Einschätzungen (Bedarfsermittlungen z.B. nach Metzler, Sozialberichte etc.).
Für die Sachverhaltsfeststellungen und Entscheidungen nach neuer Gesetzeslagen (Bedarfsermittlung – Erhebung Wünsche – Definition von Zielen und Maßnahmen mit Festlegung der leistungserbringenden Stellen sowie Kriterien zur Wirksamkeitsbeurteilung nach Ablauf eines festzulegenden Zeitraumes) sind Fachkräfte zwingend erforderlich; Dies auch unter dem Aspekt der vorgesehenen Beteiligung der Betroffenen.

Neue Anforderungen für die Einrichtungsträger
Wenn nun künftig Bedarfsermittlung und Leistungsplanung durch die Kostenträger erfolgen, ergeben sich daraus völlig neue Anforderungen auf Seiten der Einrichtungen:
Bei Neuaufnahmen kann sich nach einer recht kurzen Zeit bereits herausstellen, dass die ermittelten Bedarfe nicht mit den tatsächlichen Leitungsnotwendigkeiten übereinstimmen. Dies kann durchaus auf möglicherweise fehlerhafter Einschätzung und daraus resultierend unzureichender Leistungsplanung durch den Kostenträger beruhen. 
Der Einrichtungsträger sollte dann unverzüglich eine Aktualisierung der Gesamtplanung erwirken, da er ansonsten im Rahmen der Wirksamkeitsbewertung nach üblicherweise ein bis zwei Jahren im Zuge der turnusmäßigen Überprüfung Gefahr läuft, die geplanten Ergebnisse der Leistungen nicht zu erreichen. Dies muss er sich zurechnen lassen, und zwar zunächst unabhängig von den Ursachen für das Verfehlen der Wirkung. Das Ergebnis geht zu Lasten der erzielten Wirksamkeit der durch die Einrichtung erbrachten Leistungen, zu welchen der Kostenträger potentiell Rückschlüsse auf die Leitungsqualität und -wirksamkeit des Einrichtungsträgers allgemein ziehen wird (5)!

Noch relevanter könnte die leistungsbereichsübergreifende Bedarfsfeststellung und Zielfestlegung werden: Einrichtungsträger mit dem Angebot mehrerer Leistungsbausteine (z.B. Wohnen und WfbM) sollten hier dringend darüber nachdenken, eine übergreifende fachliche Leistungssteuerung einzurichten, um die Erreichung der im ICF-basierten Gesamtplan beschriebenen Ziele und die Umsetzung der dortigen Maßnahmen zu planen und zu controllen.

Die folgenden Ausführungen sind vor allem für Einrichtungsträger mit mehreren Angebotsbausteinen (z.B. Wohnen und Arbeiten) relevant, jedoch auch Träger mit nur einzelnen Angebotsbausteinen sollten ihre strategische und operative Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern für die gleichen Nutzerinnen überdenken und systematisch weiterentwickeln, um den neuen Anforderungen aus der Gesamtplanung gerecht zu werden.

Zentrales Aufnahme- und Teilhabemanagement (AT) als Lösungsmöglichkeit
Ein Weg zur Abbildung der neuen Anforderungen in der eigenen Organisation könnte der Aufbau eines zentralen Aufnahme- und Teilhabemanagements (AT - eine Art internes Casemanagement) sein. Hier wäre immer eine feste Mitarbeiterin dauerhafter Ansprechpartner für eine Klientin (6). Konzeptionell wären im Wesentlichen folgende Aufgaben beim AT anzusiedeln:
  1. Bei Beginn der Leistung und bei Aktualisierung der Gesamtpläne: Überprüfung derselben auf Passung der Bedarfsermittlung und Konkretisierung auf Umsetzbarkeit im Alltag (in Zusammenarbeit mit den Nutzerinnen und ggf. den gesetzl. Betreuerinnen / Angehörigen sowie bei Bedarf mit dem Kostenträger, außerdem den internen Mitarbeiterinnen, die die Leistung erbringen) sowie Auswahl eines internen Leistungsbereiches zur Leistungserbringung (Zuweisung einer Einrichtung). Damit würde das AT zur Ansprechstelle sowohl für extern relevante Personen als auch zur Schnittstelle zu internen Mitarbeiterinnen, gleichzeitig Beschwerdestelle für alle Beteiligten. Es würde zum zentralen „Verhandlungspartner“ für Kostenträger. Heute kommt es hingegen häufig vor, dass aus jedem Leistungsbereich unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und Aufträgen, im unglücklichsten Fall unterschiedliche Ziele mit gegenläufigen Maßnahmen auf Basis auseinanderlaufender fachlicher Sichtweisen verfolgen. Die Organisationseinheit des AT soll den Menschen mit Behinderung sowie seine Wünsche und Bedarfe stärker in den Mittelpunkt aller Aktivitäten von Einrichtungsträgern rücken. 

  2. Ziel- und wirkungsorientierte Konkretisierung in Einzelmaßnahmen für die jeweiligen internen Leistungsbereiche. 
    Im nächsten Schritt des AT ist der Gesamtplan aus alltags- und lebensweltorientierter Sichtweise zu konkretisieren. In Abstimmung mit den jeweiligen Mitarbeiterinnen (Bezugsbetreuungen Wohnen, Gruppenleitungen WfbM o.ä.) sollten die Ziele und Wirkungskriterien bei Bedarf smarter formuliert und in Maßnahmenpakete unterteilt werden. Es ist sicherzustellen, dass zum Überprüfzeitpunkt Wirkung quantifizierbar wird. 

  3. Begleitende Umsetzungssteuerung in Form von Ziel- und Maßnahmencontrolling, Anträge auf Umgruppierungen bei Änderungen des Bedarfs und damit des notwendigen Leistungsumfangs 
    Es ist ein Dokumentations- und Berichtssystem zu betreiben oder ggf. aufzubauen, welches dem AT (z.B. über Leserechte) erlaubt, sich laufend über Durchführungsfrequenz und Erfolg / Schwierigkeiten / Misserfolg der vereinbarten Maßnahmen sowie Perspektiven zur Zielerreichung zu informieren. So wird AT in den Stand versetzt, bei Bedarf intern steuernd einzugreifen und wenn notwendig mit den Beteiligten inklusive dem Kostenträger eine Änderung der Ziele oder Maßnahmen zu initiieren. Dies sollte künftig sorgfältiger und nachvollziehbarer erfolgen, da der Legitimationsdruck über die zu erzielende Wirkung der Eingliederungsleistung steigen wird!

  4. Berichtswesen
    Wie in 1. bereits angerissen, erscheint es zielführend, dass eine Synchronisierung der Berichte und die Standardisierung von Formulierungen in ICF- und UN-BRK-konformer Weise erfolgt. Hier kann durch AT eine deutliche Verbesserung der Qualität sowie der internen und externen Zusammenarbeit erreicht werden. 

Vorteile durch AT für alle Beteiligten
Nach innen: Ein zentrales Teilhabemanagement kann und soll intern einen Beitrag zum Überwinden der Betriebsblindheit sowie zur Reduzierung des Einflusses von z.B. „Dienstplannotwendigkeiten“ leisten, und eine deutlich stärkere Fokussierung auf Bedarfe sowie Wünsche und Interessen des Menschen mit Behinderung sicherstellen; ressourcenorientiert und fachlich fundiert. Die Notwendigkeit, dies auch innerbetrieblich mit neuen Wegen umzusetzen ergibt sich aus der veränderten Rolle der Einrichtungsträger: Sie haben den Auftrag, einen vom Kostenträger gemeinsam mit dem Menschen mit Behinderung definierten Bedarf zu decken! Damit erbringen sie eine viel genauer als bisher definierte Leistung innerhalb vorgegebener Parameter aus Zielen und Wirkungskriterien. AT wird damit zum Wächter über die bei der Leistungserbringung umfassende Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts und auch zur Ansprechstelle für die Klientinnen.

Nach außen: Grundsätzlich ist es Verantwortung und Aufgabe der Kostenträger, Eingliederungsleistungen nach Bedarf zu gewähren. Mit der Personenzentrierung sollte es hier gelingen, die individuellen Bedarfe gezielter zu decken – unabhängiger von der Kassenlage oder sonstigen Faktoren. Dazu kann ein fachlich gut aufgestelltes AT beim Träger einen wesentlichen Beitrag leisten, auch unter dem Aspekt der fachlichen fundierten anwaltschaftlichen Vertretung der Menschen mit Behinderung.

Woraus rekrutieren sich die Stellen? 

Es ist einrichtungsbezogen zu prüfen, von welchen Funktionen die Aufgaben Teilhabeplanung, Berichtswesen, Leistungscontrolling und Einstufung in Hilfebedarfsgruppen derzeit wahrgenommen werden. Die notwendigen Kapazitäten für den Aufbau eines AT werden sich meist aus diesen vorhandenen Funktionen (Einrichtungsleitungen, Sozialdienste etc.) rekrutieren. Teilweise sind auch Neueinstellungen sinnvoll, da neue Aufgaben mit insgesamt zeitlich höherem Aufwand als bisher hinzukommen. Dieser Teil wäre dann in Vergütungsverhandlungen mit den Kostenträgern als Bestandteil der künftigen Leistungspauschale nachzuverhandeln (7). 
Durch das Zusammenziehen der Steuerung des Teilhabeprozesses „vor der Klammer“ dürfte sich der für diese Aufgaben vorhandene intensive Schulungsbedarf für die Gesamtplansteuerung beim Träger reduzieren, da sich diese spezifischen Anforderungen auf weniger Mitarbeiterinnen verteilen.

Wo ist das Teilhabemanagement anzusiedeln?

Innerorganisatorisch sollte das AT als Stabsbereich zur Geschäftsführung angesiedelt werden: Dort entstehen Erkenntnisse zur Änderung von Bedarfen bei Nutzerinnen und daraus resultierender Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der Leistungsangebote. Auch erscheint diese Ansiedlung unter dem Aspekt der möglichen Einflussnahme von Einrichtungs- / Bereichsleitungen mit Budget-interessen oder Budgetverantwortung, die potenziell innovative oder weniger betreuungsintensive Lösungen nicht unbedingt begünstigen, am sinnvollsten.

Weitere Folgen des zentralen Teilhabemanagements 
Das AT wird durch die bedarfsgerechte Suche nach den geeignetsten Betreuungsmöglichkeiten die Verteilung der Bewerberinnen in die internen Leistungsbereiche steuern. Damit verlieren die operativen Leitungen faktisch den Einfluss auf die Auslastung ihrer Einrichtung und damit ihre Budgethoheit. Folglich verändert sich der Leitungsauftrag – weg vom „Profitcenter“ hin zur Fachinstanz! Eine Einrichtungsleitung muss ausschließlich dafür sorgen, dass „ihre“ Einrichtung attraktiv für neue Nutzerinnen ist: fachlich gut aufgestellt, flexibel in der Leistungserbringung, hohe Zufriedenheit etc. Nur so kann sie möglichst vielen potenziellen Bedarfen gerecht werden und weitreichende Wirkung bei der Umsetzung der Gesamtplanungen entfalten. Genau das wird die im Rahmen des BTHG notwendige und angestrebte Weiterentwicklung der Angebote beim Einrichtungsträger, orientiert an sich verändernden Bedarfen der Menschen mit Behinderungen, begünstigen.

Anmerkungen:
(1) für Eingliederungshilfe – vgl. §121 SGB IX
(2) für Komplexleistungen durch mehrere Kostenträger – vgl. §19 SGB IX
(3) vgl.: BAGüS – Orientierungsempfehlung zur Gesamtplanung 02/18
(4) §121 SGB IX, Abs. 2
(5) vgl. § 125, Abs. 1 Nr. 1 SGB IX
(6) bisher diskutierter / erprobter Personalschlüssel ca. 1:60
(7) vielleicht gelingt es ja auch in dem einen oder anderen Bundesland, sich auf eine Pauschale für Teilhabemanagement über den neuen Rahmenvertrag und die nächste Vergütungssteigerung zu verständigen


Andreas Herbert, Teilhabe zentral managen in:
SW Sozialwirtschaft, Seite 16 - 19 
Sozialwirtschaft, Jahrgang 29 (2019), Heft 5, ISSN print: 1613-0707, ISSN online: 1613-0707, https://doi.org/10.5771/1613-0707-2019-5-16

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